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Lichtung

2004–2005

Lichtung

„Lichtung” – die Nacht, das Dunkle und das Geheimnis. Nicht als Gegenteil des Tages, der Aufklärung, des Lichtes, sondern als ihr Anderes. Es ist nicht die Abwesenheit all dessen, sondern eine andere Qualität. Ich versuche, die Nacht zu verstehen; das Dunkle zu erhellen, ohne es zu vertreiben.

„Lichtung” ist Fotografie – ein Gemisch aus Wirklichkeit und Imagination; ein Ineinandergreifen von Möglichkeiten, die das Konstruieren und das direkte, physische Suchen miteinander verbinden.

Wenn ich nachts im Wald fotografiere, kann ich nur das erkennen, was in unmittelbarer Nähe ist. Dieses liegt klar und überdeutlich vor mir, während der Rest verschwindet. Ich stehe im Lichtkegel, bin selbst angestrahlt und weiß nicht, wer mich sieht. Wenn ich den beleuchteten Raum verlasse, bin ich ein anderer.

Im jüdisch-christlichen Glauben wurde der Tag erst später von der Nacht geschieden, oder wie die Griechen behaupteten, hatte die Nacht den Tag sowohl gezeugt, als auch geboren. Es heisst, dass mit dem Tag auch der Tod, der Schlaf und die Träume; die Rache, der Betrug und die Zwietracht, seltsamerweise auch die Liebe geboren wurde.

Könnte man diese Nachtwelt begreifen als Raum, den man zwar ansehen, aber nicht betreten kann? Als metaphorische Welt aus Wirklichkeitssplittern, die sich innerhalb von 8 Bildern schließt und vollendet? Ein Mikrokosmos, der von einer weiblichen Gestalt bewohnt wird, deren Persönlichkeit uns verschlossen bleibt.
Novalis beschreibt das Dunkel als Erlösung, als Ende des Lichtes, der Zeit, der Geschäftigkeit und aber auch des Verlustes: „Nun weiß ich, wenn der letzte Morgen sein wird – wenn das Licht nicht mehr die Nacht und die Liebe scheucht. ”

Vielleicht geht es in dieser Arbeit um ein Zeigen, aber auch um ein Verbergen. Was ist hinter dem Schwarz? Warum wirkt das, was man zu fokussieren versucht, so weiß, so überstrahlt, so ausgefressen? Man kann es ahnen, es aber ebenso wenig wahrnehmen, als wenn es ganz im Dunklen wäre. Ist es das Gerichtetsein des Blickes, das Augenlicht, das als Strahl vom Auge ausgehend, das beleuchtet, was wahrgenommen sein will?

Es könnte eine Arbeit sein, die vom Fremden, vom Nicht-Sichtbaren, vom Sich-Entziehenden erzählt, oder auch vom Vertrauten, das in einem anderen Licht erscheint. Nach Heidegger gibt es Punkte in der Zeit und im Raum, in denen alles geklärt scheint, Momente in denen sich das Sein in seiner ganzen Wahrheit zeigt; in denen sich alles offenbart. Diese Momente sind kostbar und flüchtig, sie bewegen sich. Es tritt an diesen Stellen Verborgenes zu Tage, es wird aber auch Sichtbares verstellt. „Die Lichtung … ist in sich zugleich Verbergung.” Es gibt mehr, als das, was wir sehen und auch lang Bekanntes kann etwas Anderes, Ungeahntes beinhalten. Sich verweigernde Wahrheiten, Möglichkeiten, die scheu einander begegnen.

Vielleicht ist das in „Lichtung” verwandte Fernlicht eine Metapher für unseren begrenzten Blick für unsere Art der Wahrnehmung und der Erkenntnis. Das Draußen wäre ein Ort des Unbehaustseins, aber auch der größtmöglichen Klarheit, deren Erhellung doch nur zu dem reicht, was uns umgibt. Etwas ist dahinter, das haben wir gelernt, wir glauben daran, können es aber nicht beweisen. Es ist der Glaube an die Richtigkeit von Wegweisern zu Orten, die wir niemals aufsuchen werden.

Göran Gnaudschun

Potsdam, Juni 2005