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Wüstungen

2014–2016

Eine Wüstung ist eine in der Vergangenheit aufgegebene Siedlungs- oder Wirtschaftsfläche. Man bezeichnet damit Orte, die aufgrund von Kriegen, Seuchen, Agrarkrisen oder ähnlichen Ereignissen brach liegen. Orte, an denen Menschen gelebt haben, aber an die nur noch Relikte im Boden, Urkunden oder mündliche Überlieferungen erinnern.

Zwischen 1952 und 1988 wurden entlang der innerdeutschen Grenze auf DDR-Seite über einhundert Dörfer, Höfe, Weiler und Einzelgehöfte dem Erdboden gleichgemacht. Sie störten das freie Schussfeld, waren schlecht zu bewachen oder standen einfach zu nah an der Grenze. Die Menschen, die dort lebten, wurden zwangsweise umgesiedelt, dabei verloren sie ihre Heimat für immer.

Göran Gnaudschun und Anne Heinlein haben sich mehrere Jahre sehr intensiv mit den jetzigen Wüstungen, den Menschen, die dort lebten und ihren Geschichten auseinandergesetzt.

Anne Heinlein hat großformatige schwarz-weiße Landschaftsfotografien von den Orten gemacht. Wiesen, Wälder, Landschaftsecken und kleine Flächen sind zu sehen, in denen der Betrachter wie auf einer leeren Bühne Häuser, Straßen und Höfe imaginieren kann. Scheinbar ist es Landschaftsfotografie, aber mit dem Wissen hinter dem Bild wird es zum Reflexionsraum über die Bedeutung von Heimat und deren Verlust, aber auch über die Natur, die sich von allem ungerührt ihren Raum wieder erobert.

Um zu verstehen, warum die Orte gewüstet wurden, haben Heinlein und Gnaudschun nach den Hintergründen in den Archiven von Stasi, Grenztruppen, Bundesgrenzschutz und in Museen recherchiert. Sie haben Zeitzeugen interviewt und konnten in deren privaten Alben nach Bildern fahnden, die nicht nur das Leben an den Orten dokumentieren, sondern die auch allgemeingültigen Charakter haben. Fundfotos, Dokumente und Karten sind Teil der Arbeit, die auf verschiedenen Ebenen mit dokumentarischem Material arbeitet.

In der Buchform von „Wüstungen“ stellt Göran Gnaudschun diesen Bildern seine Texte gegenüber. Ihm ist die Schichtung der Zeitebenen wichtig: er montiert das eigene Erleben an den Wüstungen mit der Geschichte der Orte und den Schicksalen der ehemaligen Bewohner. Wie in den Bildern der Arbeit greifen die Zeiten ineinander, sind nicht linear aufeinanderfolgend, sondern stehen assoziativ nebeneinander.

Im bewusst freien Umgang mit dem dokumentarischen Material machen Heinlein und Gnaudschun deutlich, dass große abstrakte Pläne immer auch persönliche Auswirkungen haben. Die Bilder und die Texte thematisieren das Vergehen von Zeit, den Umgang mit Erinnerung und die Auswirkungen von Flucht und Vertreibung als Folge geschlossener und schwer bewachter Grenzen.

 

Der Himmel über Billmuthausen, 2016
Video als Teil der Arbeit „Wüstungen”,  1h:20 min