Hinter den Bildern – Fotografie, 2006-2013

Ausstellung im Kunsthaus Potsdam, 2013
 

Begleittext
 
Eine Fotografie kann nur Oberflächen abbilden. Eine Fotografie  ist nur Oberfläche. Die Berührung ist sinnlos, weil sich die Erfahrung nur in den Kategorien matt oder glänzend abspielt.
Eine Fotografie ist kein Beweis, sie verweist nur auf etwas Dagewesenes, mit dem sie eine scheinbare Ähnlichkeit gemein hat.
 
Ich bin Fotograf  und zeige anderen etwas. Ich nehme einen Ausschnitt aus der Welt, reduziere ihn um die zeitliche und eine räumliche Dimension, verkleinere ihn oft und raube ihm manchmal auch die Farbtöne.  Ich nehme immer etwas weg, reduziere die Welt auf das, was mir greifbar oder auch auf das, was mir unverständlich erscheint. Das ist Verdichtung, die Suche nach dem Wesentlichen, obwohl ich nicht davon ausgehe, dass es das überhaupt gibt.
 
Gute Bilder schaffen in ihrer Verdichtung über ihrem Bildsein eine transzendente Ebene, in der sich der Betrachter, der das Bild versteht, aufgehoben fühlt. Diese Ebene entsteht, wenn etwas im Bild ist, dass Interferenzen erzeugen kann: ein Rätsel, eine Stimmung, vielleicht erkennt man etwas wieder, sieht es aber in einem völlig anderem Licht, man wird erinnert, oft ist es Vages oder Zweideutiges. Der Betrachter „beseelt“ das Bild: es gibt eine Bewegung vom Inneren des Fotografen zum Inneren des Betrachters und diese Bewegung muss durch etwas so Kaltes, Technisches und Unhaptisches, wie es eine Fotografie ist, hindurch. Vielleicht ist die Kälte einer Fotografie deshalb auch eine Art Klärbad, in der die Wirklichkeit gereinigt wird.
Die Reinigung kann eine Art Offenheit erzeugen, die es dem Betrachter erlaubt, in die Bildwirklichkeit einzutauchen. Wie gesagt, es ist eine Bildwirklichkeit, die Wirklichkeit des Fotografen, in der das Gemeinte etwas anderes sein kann als das Abgebildete.
 
Ich suche in meinen Bildern nach einer Offenheit, die es dem Betrachter erlaubt, seine Assoziationsketten  mit dem Bild zu verbinden. Ich möchte in meinen Portraits aus „morgen“ Hanna nicht als Hanna zeigen und auch Herrn Hahn nicht als Herrn Hahn charakterisieren, sondern im Besten Falle komme ich dem allgemein Menschlichen näher. Wenn ich in „Luft berühren“ meine Hand fotografiere, bleibt es zwar meine Hand, aber sie wird zur Geste, zum unbestimmten Verbindungsglied aller Bilder der Serie.
 
Luft berühren
 
„Luft berühren“ zeigt Häuserzeilen, Baumkronen, Stadtlandschaften, eine Decke, Laub und Wolken. Gewöhnliches, Flüchtiges und scheinbar Beiläufiges, das vom direkten Interesse des Fotografen, von Versuchen der Bildfindung erzählt – vom Alltag, von Vertrautem, das einem aber auf eine beunruhigende Art fremd bleiben wird.
Es geht mir um die poetischen Verflechtungen, die sich ergeben, wenn Wirklichkeit als Abbild deutlich wird – es geht um den Weg von der Innerlichkeit der Vorstellungen des Autors zur Äußerlichkeit der Menschen und Dinge, hin zu einer inneren Wirklichkeit des Bildes, die nach Außen auf den Betrachter wirkt.
Mir ist hier in meinem Bildern nicht die scheinbare Essenz, der Bildinhalt wichtig, sondern das, was übrig bleibt als unteilbarer Rest. Das Unlösbare, dass das, was uns immer umgibt, manchmal so rätselhaft werden lässt. Das Gewöhnliche trägt das Unvorstellbare immer in sich.
 
„Luft berühren“ ist Teil eines 7jähriges Tagebuchprojektes, das einem festen Raster folgt: Im ersten Jahr, 2006, habe ich alle Montage fotografiert, 2007 alle Dienstage bis zum letzten Jahr, in dem ich jeden Sonntag fotografiert habe. Es gibt keinen Plan dafür, ich fotografiere dort, wo ich gerade bin, das, was sich unmittelbar vor mir befindet.
 
morgen
 
Die Bilder von „morgen“ sind der Beginn meiner aktuellen Portraitreihe. Ich fotografiere junge Menschen und alte. Es ist die Klammer, zwischen der sich Existenz befindet: Leben noch vor sich, oder Leben schon gelebt. Alle Abgebildeten sind nicht am direkten Prozess von Lebensbewältigung, Broterwerb, vom Pläne schmieden und Rollen ausführen beteiligt. Für die Kinder und die Jugendlichen, die das Leben noch vor sich haben, ist alles so offen, so potentiell und es scheint, als würde ein weißes Blatt vor Ihnen liegen, das beschrieben wird: von Ihnen und vom Lauf der Welt.
Die, die da vor mir saßen, haben sich mir ein Stück weit geöffnet, manchmal nur in einer kurzen Zeit. Portraits zeigen von manchen Menschen Seiten auf, die Ihnen und den Nahestehenden vielleicht gar nicht bewusst sind. Dazu braucht es einen bestimmten Abstand, eine Wahrnehmung aus der Distanz meinerseits, aber auch das Wachsein und die Präsenz auf Seiten der Abgebildeten. Portraitsitzungen sind immer eine Zusammenarbeit, in der die Vorstellungen des Fotografen auf die des Abgebildeten treffen und sich dabei etwas ergibt.
 
Ich bin auf der Suche nach einer Klarheit im Bild, nach einer Präzision, in der alles, auch das Zufällige so wirkt, als hätte es nie anders sein können. Diese Klarheit entsteht auch durch die Offenheit, von der ich weiter vorn geschrieben habe. Diese Offenheit kann ich wahrscheinlich nur erreichen, wenn man nicht mit beiden Beinen im Leben steht, und wenn die Rollen schon wieder abgelegt sind, wie bei den alten Menschen. In diesen Portraits geht es mir nicht um die Vergangenheit und nicht um die Geschichten, die man vielleicht aus den Gesichtern lesen könnte. Das gelebte Leben lässt sie schon wieder los, die Rollen der Identität verblassen und etwas anderes scheint durch. Etwas Individuelles, was aber gleichzeitig auch etwas Allgemeineres in sich trägt. Vielleicht wird das allgemein Menschliche klar.
 
Zwischen dem „Noch Nicht“ und dem „Nicht Mehr“ spielt „morgen“. „morgen“ benennt das, was der Betrachter in das Bild legt. Die ewige Gegenwart einer Fotografie, der festgehaltene Moment, fordert die Frage „Wie ging es dann weiter?“ geradezu heraus.
Die Fotografie allerdings schweigt dazu.
 
 
Göran Gnaudschun, 11.09.2013