Freilaufende Bilderherden
Blogtext zur Arbeit von Ute Behrend, Straycats, 2013
Nichts ist so einfach wie es scheint.
Abbildung I (klack)
Ein junges Mädchen sitzt rittlings auf einem jungen Mann. Ihre DocMartens und die karierte Hose lassen auf einen subkulturellen Hintergrund schließen. Wir befinden uns am Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Der Müll auf der zertretenen Wiese gehörte scheinbar Open-Air Besuchern, die sich schnell von Überflüssigem entledigen wollten. Die Finger des Mädchens drücken den Rücken des jungen Mannes mit dem schwarzgefärbten vollen Haar an sich. Es ist kalt, jedenfalls lugen auch aus ihrem anderen Ärmel nur die Finger, die den Schulterbereich umschließen. Weißgeblitzt hell scheint uns der Schriftzug „simple.“ entgegen, den der junge Mann auf dem Rücken trägt.
Bei Ute Behrend haben Kinder oft etwas in der Hand.
Abbildung I (klack), Abbildung II (klack), Abbildung II (klack)
Manchmal zeigen Sie auch etwas: Eine Plastikblume, einen Vogel, eine Gummispinne, ein Fön, ein Taschenmesser, ein Feuerzeug. Verbrenn dich nicht.
Abbildung III (klack)
Bei Ute Behrends erstem Buch Girls, Some Boys and Other Cookies schien man das Äußere neu zu sehen, mit den Augen eines staunenden Kindes ging man durch eine Welt, die keine Ursache und keine Wirkung kennt. Alles ist singulär, ist schon da, ist mit allem gleichberechtigt: die Blumen, die Puppen, die Straßenlaterne, die Höhlenmalerei, die Kaffeetasse, die Katze und die Erwachsenen, meist im Zustand unaufgeräumten Partyvollzuges.
Mit ihrer wild wuchernden Bilderflut (es gibt zwar buchgemäß Anfang und Ende, aber kein Vorsatzpapier, keine Titelei, kein Vorwort, kein Bildnachweis und kein Impressum) überfordert Ute Behrend ihre Betrachter, die nie ein Einzelbild geschenkt bekommen, die sich nie ausruhen können. Es gibt keine stille Versenkung in das großartige Foto, entweder wuchern Pflanzen oder Körperteile oder Menschen aus der ersten Lebenshälfte schauen derangiert in den Blitz der Kamera.
Es entsteht ein weißes Rauschen, das bei mir, 17 Jahre später den Verdacht einer tiefen Absicht nährt: vielleicht hängt ja doch alles mit allem zusammen und vielleicht gibt es den Zufall nicht? Nur als Konstruktion unseres Gehirns, das nicht wahrhaben will, dass wir in einer durch und durch determinierten Welt ohne Freiheitsgrade leben. Vielleicht ist auch die Leichtigkeit, die uns der Titel vorgeben soll, nur Teil eines postmodernen Versteckspiels gewesen, das uns erfolgreich auf Abwege geführt hat.
Abbildung IV (klack)
In dem Buch Zimmerpflanzen, gut eineinhalb Dekaden später entstanden, und – stopp nochmal, welch schöner Titel! – entsteht es wieder, dieses Zuviel an Details, zuviel an Welt, an Haarschmuck und Dingen, die keiner braucht (Jagdtrophäen von Rehböcken, Klemmen im dünnen Haar des Mädchens auf dessen T-Shirt auch noch „sweet“ steht) zuviel an Kölner Karneval und zuviel an fettigem Zeitspeck. Mohn wird mittels Rasierklinge aufgeritzt, das Mädchen mit dem Revolver in der Hand spitzt die Lippen zu einem im Bild gebliebenen Pfeifton, ein Hai von unten gesehen und der nasse Fleck am Hinterteil der Cordhose eines Mannes. Mann zuppelt sich zurecht, um auch den Slip in eine angenehmere Position zu bringen. Unschön, wenn sich die Struktur des Stoffes in die Haut gräbt, weil auch der durchsuppt ist von der Feuchtigkeit einer Bank im Regen.
Immer wieder Blumen, Rentner halten sich an einer Stange fest, nur Kinder sehen in die Kamera, der Schießstand, die Polizei – wir sehen nicht, auf was die Polizistin mit der Taschenlampe leuchtet, beunruhigend scheint es auf jeden Fall zu sein, auch der Mann in der Sommerküche schaut besorgt aus dem vorletzten Bild und reicht dabei der Fotografin die Kaffeetasse.
Der für seine aphoristische Treffsicherheit bekannte Christoph Ribbat nennt das Phänomen treffend „freilaufende Bilderherden“.
Abbildung VI (klack)
Die Bildpaare, die einmal gefunden, immer fest stehen, erzählen Kurzgeschichten, manchmal sind es Haikus, immer bleibt etwas rätselhaft und uneingelöst. Alles wirkt beiläufig gesehen, wie aus dem Augenwinkel. Man nimmt etwas wahr, registriert es, aber es ergibt erst aus der Perspektive der Rekapitulation einen Sinn, der dann aber traumhaft und metaphorisch bleibt. Es geht um Erinnerungen und Vorstellungen; nichts ist so zu lesen, wie es abgebildet ist, immer gibt es Brüche und Zweideutigkeiten.
Die Schönheit der Frau der Nacht
Abbildung VII (klack)
und der leere Teller auf dem Campingtisch der Klofrau, hübsch auf ein weißes Deckchen drapiert (so ist das Rheinland, bei uns klemmt man sich auch das), neben dem versifften Heizkörper, der die ausgepackten Körperteile und die Klofrau vor Kälte bewahren soll.
Alles ist nebeneinander, auch bei großen Staatenlenkern kann der Magen hörbar deutlich gluckern, wenn sie am Staatsbegräbnis eines anderen großen Staatenlenkers teilnehmen.
Es gibt keinen Horizont in Ute Behrends Bildern, selbst beim Endbild von Zimmerpflanzen, in dem man über eine neblige Wiese in die Dämmerung blickt, stehen am Ende Bäume. Was bleibt, ist Vegetation.
Abbildung VIII (klack)
Ute Behrend verstellt uns den Blick auf das große Ganze, vielleicht gibt es das große Ganze auch gar nicht? Vielleicht gibt es nur Parallelen und Korrespondenzen, bei der sich das Mädchen, was sich das Pausenbrot in den Mund führen will, ähnlich grinst wie die Erwachsene mit den gepiercten Brustwarzen eine Seite später. Es gibt keinen Sinn, nur die Geschichtenfäden, die wir zwischen den Bildern spinnen. Für Freunde der freien Assoziation gibt es davon reichlich. Diese unperfekte Welt ist wahrscheinlich eine Zumutung für Großplaner und Architekten, weil es zwischen den sauber angelegten Wegen, die die Leute doch bitteschön gehen sollen, immer wieder Trampelpfade gibt und die schönen, hellen, offenen Räume schon mit wuchernder Bürovegetation „gestaltet“ sind, bevor der bestellte Fotograf den Idealzustand festhalten konnte. Nie gönnt uns die Fotografin den Feldherrenblick, immer sind die Menschen und Dinge fast zu nah. Es muss immer eine Episode, eine Verbindung gegeben haben. Wir denken uns das „Off“, das, was man nicht sieht, wir denken uns die Fotografin immer mit.
Ich mag Ute Behrends vollgestellte Welt, weil sie die Unschuldsvermutung, dass doch etwas hinter allem sein könnte, nicht außer Kraft setzt. Ute Behrend räumt bloß alles, was sie kriegen kann, davor.
Göran Gnaudschun
P.S.: In tiefer Verneigung vor Alexander Kluge, an dessen Hörspielopus „Chronik der Gefühle” ich mich in den letzten Wochen wie süchtig gehört habe, entschied ich mich, das markante „Abbildung (klack)“ zu zitieren. Bilder, die im Kopf entstehen, können auch ganz reizvoll sein.
P.P.S.: Es gibt natürlich auch das neuere Buch „The Last Year Of Childhood” von 2011. Es hat mir sehr gefallen – luftiger und melancholischer als alles andere davor.