↑   Klick ins Bild startet Galerie

Reif

2001/2003

Göran Gnaudschun zeigt uns Gesichter. Sie sind frontal aufgenommen, formatfüllend, aus vergleichbarer Entfernung zum Objektiv. Wir sehen sie in ein weiches, schlagschattenfreies, undramatisches Licht getaucht, nicht grimassierend, aber auch nicht in Posen versetzt. Die Hintergründe sind ruhig, aber nicht studioneutral und auch nicht von milieubezeichnender Genrehaftigkeit. Es dominieren die Augen und die stillen Blicke, die frei, beinahe abwartend auf uns gerichtet sind. Das alles wirkt seltsam unausgesucht, zumal es unbetitelt bleibt. Die Portraits heißen nicht Svenny, Christine oder Maik. Und doch bleiben die Gesichter nicht anonym, weil in der unmerklichen Anstrengung des Fotografen und seines Gegenüber die Verabredung eingehalten scheint, sich gegenseitig nichts vorzumachen. Beide versuchen, kenntlich zu werden in einer seltsam beruhigten, korrespondierenden Gefasstheit. Die Augen vor und hinter dem Objektiv scheinen auf die Unterschiede der Perspektive eingestimmt zu sein. Alles Verweisende, alles den konzentrierten Augenblick Übertretende ist deshalb vermieden, so dass die Gesichter aus sich selber und über sich hinaus leuchten. Das Gesicht wird zum Antlitz und das Antlitz zum Bildnis. Das Bildnis, die Erscheinung, versöhnt die Differenz zwischen Gestalt und Bildgestalt, und zwar in der Abstraktion einer konkreten Ordnung des Gefühlsausdrucks. Bei Göran Gnaudschun ist das der Ausdruck des Unbeeinträchtigten und von Innerlichkeit, vor allem jedoch: in der Bildordnung der Ausdruck von Würde…
Es ist… als ob die Portraits gerade in ihrer Zurückhaltung und Eindringlichkeit sagen sollen: Ich bin nicht mein Bild und mein Bild bin nicht ich. Weiter sogar: Ich bin nicht mein Gesicht und mein Gesicht bin nicht ich. Ja, härter noch: Ich bin nicht mein Bild, obgleich mein Ich ein Bild ist.

Michael Freitag, 2002